Dangast


Trude Rosner-Kasowski und Dangast (1899- 1970)

Ein Plädoyer gegen das Vergessen

 

Die Atmosphäre

Es war die Zeit, als Dangast noch ein Künstlerdorf war, das bedeutenden Malern Raum für das künstlerische Wirken gab. Franz Radziwill, Trude Rosner-Kasowski und später der Fotograf und Maler Willy Hinck hatten in der Folge der deutschen Expressionisten Erich Heckel, Otto Müller, Karl Schmid- R. und Max Pechstein die Landschaft, das Meer und das immer wieder ins Feld geführte Licht zum Plateau für ihre künstlerische Inspiration gemacht. Die Oldenburger Malerin Emma Ritter pflegte bereits um 1910 vor Ort den künstlerischen Dialog mit Schmidt-Rottluff.

Dangast war damals weitestgehend unberührt vom Massentourismus. Man ging ins Kurhaus (wie auch heute noch) oder in die „Möwe“, schräg gegenüber vom Kolonialwarenladen von Ferdinand Pieper, der alles Lebensnotwendige und darüber hinaus bereithielt. DELIAL- Sonnencreme und Capri-Eis waren die begleitenden Klassiker für den Besuch des Gemeindestrandes an der angrenzenden Rennweide, die damals noch zu Recht ihren Namen trug. Als Kind hatte ich dort Pferderennen erlebt. Das Publikum saß an der Böschung mit einem Lunchpaket…

Meine Großeltern wohnten gegenüber von Dr. Hermanns Kinderheim, das später vom Architekten Heinrich Gerdes erworben wurde. Die Hincks kamen des Öfteren auf einen Drink vorbei. Karl-Anton Tapken und „Tante Olga“ waren Institutionen. Es war eine insgesamt friedfertige – ja idyllische Atmosphäre – von Geborgenheit in Familie und Provinz….

Als Kind wuchs ich in weiten Teilen dort auf. Schwimmen lernte ich beim Bademeister Paul Zimmermann im kleinen Schwimmbecken neben der Klause. Auf dem Weg dorthin begegnete ich immer wieder einer älteren Dame, die mit großzügiger Geste Vogelfutter verstreute, das sie in den Taschen ihres alten Wollmantels bereithielt. Voller Unverständnis nannten wir Kinder sie die alte Vogelhexe, zumal sie in einem am Kurhaus gelegenen alten Schweinestall wohnte, der ihr von den Tapkens als ständige Bleibe und Atelier überlassen worden war. Das kam uns alles seltsam vor, konnten wir in der gutbürgerlichen Atmosphäre der auf Konvention bedachten 50er Jahre ein derartig ungewöhnliches – ja skurriles Auftreten nicht einordnen.

Nachdenklich wurde ich allmählich, nachdem mein Großvater Soltau wiederholt Bilder von ihr gekauft hatte, nicht zuletzt, um dem malenden Mitglied der Dorfgemeinschaft Aufmerksamkeit und eine gewisse Anerkennung zukommen zu lassen. So auch, als die Malerin eines Tages mit Ölfarbkasten, Pinseln und Palette den Hausflur unseres Hauses an der Rennweide betrat, um eine alte Pendeluhr mit einem Blumenstilleben zu versehen, nachdem das ursprüngliche Original im Verlauf von Jahrzehnten nur noch schemenhaft zu erkennen gewesen war. Der Besuch der alten Dame, der Geruch von Ölfarbe, der vom frisch gemalten Blumenstilleben auf der Uhr ausging und mein neugierig spürender Finger auf den pastos aufgetragenen Pinselspuren haben sich tief bei mir eingegraben; es war im wahrsten Sinne etwas an mir haften geblieben….

Die künstlerische und kunsthistorische Bedeutung – Kontext Dangast

Nachdem Trude R.-K. ihre Heimat in Schlesien nach dem 2.Weltkrieg verlassen musste, versuchte sie mittellos und unter dem Verlust ihres nahezu gesamten Oevres von neuem künstlerisch und existenziell Fuß zu fassen. Nach verschiedenen Stationen u. a. im Emsland übersiedelte die Künstlerin1955 nach Dangastermoor und schließlich nach Dangast. Dabei kommt dem Engagement der Familie Tapken wesentliche Bedeutung zu. Sie gaben der Künstlerin Raum in dem besagten ausgedienten Schweinestall, der ihr als Atelier und Wohnung diente. Auch durch Ankäufe förderten die Tapkens die Rosner, eine Haltung, die das Engagement der Familie bis heute auszeichnet und charakterisiert. So wurde im Frühjahr 2024 an die Dangaster Künstlerin anlässlich ihres 125 jährigen Geburtstags mit einer umfangreichen Retrospektive im Kurhaus erinnert. Auch Anatol Herzfeld, der in den 70er Jahren überregionale Künstler (J. Beuys) der Düsseldorfer Kunstszene nach Dangast geholt hatte, verwies in einem Gespräch (Quelle: Buch/Katalog „Zwischen Zeitgeist und Abkehr“, 2002) auf das bemerkenswerte Verdienst der Familie Tapken und die Bedeutung von T.R.-K. für die Dangaster Kunstlandschaft.

Die frühen Arbeiten der Malerin aus den 40er und 50er Jahren, mit der oftmals noch erdfarbenen Farbgebung erinnern in Anklängen an den deutschen Naturlyrismus der Worpsweder Künstlerinnen und Künstler. Sicherlich waren ihr die Auffassungen von Heinrich Vogeler oder etwa die Kinderportraits von P. Modersohn-Becker bekannt (Vergl. „Mädchen mit Luftballon“, 1952 Künstlerhaus Jan Oeltjen „Werke aus dem Nachlass“ Katalog, – sowie: „Birken im Emsland“ in „Zwischen Zeitgeist und Abkehr“ – Katalog zur Ausstellung: Trude Rosner-Kasowski in Dangast).

Der Expressionismus hatte bereits das Frühwerk von Franz R. maßgeblich beeinflusst (s. Ausstellung „Alles auf Anfang. Hundert Jahre Franz Radziwill in Dangast“ 2023 – Katalog). Die Auseinandersetzung mit dieser starkfarbigen und subjektiv emotionalen Malerei veränderten schließlich die Bildsprache von Trude R-K. Die zunächst eher verhaltene Farbigkeit wird durch ein zunehmend starkfarbiges, kraftvolles Kolorit abgelöst, das immer häufiger in rascher ja fiebriger Diktion aufgetragen erscheint. Lyrische und poetische Elemente werden sichtbar, Landschaft und Licht im malerischen Ausdruck komprimiert. Rückgriffe auf die frühen Impulse seitens des Expressionisten Otto Müller werden erschöpfend verarbeitet. Ihre nach wie vor kritische existenzielle Situation konnte sie neben vereinzelten Verkäufen der meist auf einfacher Raufasertapete gestalteten Aquarelle auch in Form von Portraitaufträgen verbessern. In zahlreichen Kohle- und Rötelzeichnungen gibt eine ansehnliche Anzahl dieser Arbeiten bildhafte Auskunft über Dangaster Anwohner und darüber hinaus.

Die Perspektive

Nachdem Franz Radziwill die Anregung der um 1910 in Dangast ansässig gewordenen Expressionisten Heckel, Pechstein und Schmidt-Rottluff vor nunmehr 100 Jahren aufgenommen und sich ebenfalls in Dangast niederlassen hatte, war schließlich mit Trude-Rosner-K. und wenig später dem Fotografen und Maler Willy Hinck das entstanden, was wir auch heute noch ein Künstlerdorf nennen.

Im Gegensatz zu vergleichbaren Kunstorten in Worpswede oder Ahrenshoop wird diesem immer wieder beschworenen Mythos allerdings gegenwärtig nur wenig Rechnung getragen.
Initiativen wie die der „Akademie Dangast“ bilden eine wohltuende Ausnahme.

Von überregionaler Bedeutung muss die Franz-Radziwill-Gesellschaft hervorgehoben werden, die im Franz-Radziwill-Haus auf Initiative und in Verantwortung der Tochter Konstanze in leidenschaftlicher Weise und in fachlicher Kompetenz das malerische Erbe F. Radziwills bewahrt, geschützt und der interessierten Öffentlichkeit nachhaltig zugänglich gemacht hat. Die F.R.- Gesellschaft gibt beispielhaft vor, wie engagierte Kulturarbeit jenseits der Metropolen aussehen kann. Wiederholt gingen Initiativen von hier aus, die dem kulturellen Verfall des Künstlerdorfes Einhalt gebieten sollten.

Auch der Verein „KunsTraum Dangast“, der einige Zeit in Dangast ansässig war, zog sich schließlich in das alte Zollamt am Vareler Hafen zurück. Norbert Ahlers, Mitglied des Vareler Stadtrates und kulturell engagierter Vareler Bürger, schreibt am 15.2.2015 in den „Vareler Randnotizen“ über den Rückzug des KunsTraum Dangast:

„Den Ausverkauf des Künstlerdorfes Dangast, der ohne Rücksicht auf die Landschaft und die Zukunft des Ortes vollzogen wird, ist im „KunsTraum“ über zwei Jahre mit Sorge beobachtet und immer wieder kritisch kommentiert worden. In der Presseerklärung des Kunstraums heißt es weiterhin, dass das touristische Konzept der Stadt Varel den Badeort Dangast mehr und mehr mit Besuchermassen konfrontiert, die nur auf Kosten der Vorzüge dieses Dorfes bewältigt werden können. Mit dem Verlust der Besonderheiten Dangasts wird auch einem künstlerischen Arbeiten in Dangast die Seele genommen.“

Vielleicht war die einstmalige Dangaster Situation im frühen 20.Jahrhundert mit der inspirierenden Atmosphäre einer Kunsthochschule vergleichbar: In der Begegnung, im Austausch mit gleichgesinnten und im Gespräch vor den Bildern („lernen“) sowie im Dialog mit der Ursprünglichkeit der Natur entwickeln die jungen Künstler ihre eigene Position. Gleichzeitig sind die Strömungen und Auffassungen der Gegenwartskunst vertreten durch die anwesenden Künstlerpersönlichkeiten direkt verfügbar und geben begleitende Orientierung, was in der Regel einer Metropole bedarf.

Das alles gab es in Dangast, das machte das Künstlerdorf aus!

Meine Begegnungen mit Trude Rosner-K., Franz Radziwill und ANATOL hatten auf vollkommen unterschiedlichen Ebenen wesentlichen Anteil an meiner Entscheidung für mein späteres Kunststudium.

Deshalb ist es mir eine besondere Ehre und Verpflichtung sowie eine große Freude zum hier gegebenen Anlass, einen Beitrag zur Erinnerung an eine bedeutende Dangaster Malerin leisten zu können.

Mehr zur Geschichte und dem kulturhistorischen Kontext von T. R-K. erfahren Sie
im Buch/Katalog „Zwischen Zeitgeist und Abkehr“ das von K. Radziwill im Jahre 2002 herausgegeben wurde und der Publikation des Künstlerhaus Jan-Oeltjen e.V., Jaderberg (Werke aus dem Nachlass– Werkverzeichnis), die im Zusammenhang mit einer Ausstellung im Jahre 1998 veröffentlicht wurde.

2. August 2024
Prof. em. Michael Soltau, Leipzig, Varel